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Beschränkter Wettbewerb: 2009 (Ankauf)
Bauherr: Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen –Anhalt
Nutzung: Museum
Bruttogeschossfläche: 1950 m²
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Museumsquartier Luthersterbehaus in Eisleben
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Kuratorisches Leitbild
„Wir sprechen wohl, es sei ein viel ander Ding, wenn einer einschläft und
wenn er stirbt, aber fürwahr, bei den Christen ist kein Unterschied.“
Geburt und Tod Luthers haben in Eisleben ihre symbolischen Orte.
Wie eine Klammer umfassen Geburts- und Sterbehaus seine Lebensbahn. Daraus folgt fast zwingend ein dialogisch-komplementäres Verhältnis beider Quartiere, das sich, hier in Korrespondenz, dort in ausdrücklicher Differenz, sowohl in der Art des Themenzugriffs wie auch gestalterisch niederschlagen sollte.
Im Sterbehausquartier beherrschen die Motive Abschied und Trauer, Inszenierung und Kult, Transzendenz und Erlösungserwartung das Bild. Diese semantischen Paare werden innerhalb des Komplexes jeweils einem Schauplatz zugeordnet, dem Sterbehaus, der Dauerausstellung im Neubau und dem Garten. Mit dieser Struktur ist der Besucher nicht nur wechselnden Perspektiven auf das Thema, sondern auch Sphären ästhetisch kontrastierender Anmutung konfrontiert.
I.Das Sterbehaus
Die Mehrzahl der Besucher sucht im Sterbehaus eine authentische Nähe zu Luther und seinem Leben. Gegenüber dieser Erwartung hätte die vorschnelle Aufklärung, man befinde sich zwar an einem Ort traditionellen Luther-Gedenkens, authentisch sei der aber nicht, wenig Erotisches für sich. Das Sterbehaus ist ein Fake, das nur dann wirklich als solches erlebt wird, wenn die Möglichkeit gegeben ist, es zunächst für authentisch zu halten. Daher sollten suggestives Erleben des Sterbehauses und die Enthüllung der Inszenierung dramaturgisch getrennt erfolgen. Insofern enthält sich die streng nach dem Zustand von 1892/94 rekonstruierte Ausstattung an dieser Stelle der kritischen Distanz. Die inszenierte Erzählung vom Tod des Reformators bleibt zunächst für sich stehen. Gegen die historistische Gefälligkeit setzen sich neue Ausstellungseinheiten durch betonte Schlichtheit und Kühle ab. Gegenüber den von Wanderer gestalteten Räumen signifikant reduzierte Helligkeit. Die Sterbegeschichte wird hier eingebunden in Themen der christlichen bzw. protestantischen Heilserwartung am Umbruch von Spätmittelalter zur frühen Neuzeit und ihrer Ikonologie. Dazu werden auch die bislang nicht genutzten Räume im Erdgeschoss des Seitenflügels einbezogen.
II. Das Ausstellungshaus
Wenn das Geburtshaus das familiäre Vorleben Luthers zum Thema nimmt und das Lutherhaus in Wittenberg seinem Lebenswerk gewidmet ist, wendet sich die Dauerausstellung im Neubau wesentlich seiner Rezeptionsgeschichte zu. Den Ansatz dazu bildet das Sterbehaus selbst. Das hohe und auf verschiedenen Ebenen angelegte „Entlarvungspotenzial“ des Hauses ist eine Kapitalie, die in der Ausstellung dramaturgisch genutzt wird. Den Modus der Inszenierung aufzudecken, antwortet die Ausstellung mit einer Installation, die ihrerseits eine fiktive Rekonstruktion des Sterbezimmers im Originalmaßstab anbietet. Ziel ist die ästhetische Reflektion des Spannungsfeldes von Authentizität, Rekonstruktion und Auratisierung annimmt. In diesem Rahmen findet auch das Papesche Sterbebild seinen Platz. Dieses dritte Fassung des Lutherschen Sterbezimmers bietet den Ausgangspunkt weiterer Erzählstränge der Dauerausstellung: Die belegten Hausgeschichten Markt 56 und Andreaskirchplatz 7, die Ideologie des denkmalpflegerischen Historismus, die legitimatorischen Interessen des preußischen Herrscherhauses, der neuzeitliche Lutherkult. Im Kontext dieser rezeptionsgeschichtlichen Aspekte ist auch der Ort für die Behandlung von Luther-Kolportagen und Legenden, die hier nicht nur motivisch, sondern instrumentell durchleuchtet werden. Mit dem Wandel des Lutherbildes in DDR und den Feiern 1983 kommt die Ausstellung erneut beim Sterbehaus an. Der Zuschnitt der Dauerausstellungsfläche lässt, anders als im Fall des Seitenflügels, eine offene Präsentation in der Form motivischer Inseln zu. Eine „weiche“ Besucherleitung erfolgt durch inszenatorische Mittel, insbesondere Lichtakzente.
Der im 1. OG ausgewiesene Raum für Sonderausstellung bleibt im Rohzustand ungegliedert und soll in seiner technischen Ausstattung flexible Gestaltungsoptionen offenlassen. Dies schließt auch die Möglichkeiten von Raumteilungen ein.
III.Der Garten
Aus der umbauten Hofanlage abwärts blickend öffnet sich der Himmel. Zugleich signalisiert das Grün des Vikariatsgarten eine andere Sphäre. Nach historistischer Fiktion und ihrer rezeptionsgeschichtlichen Decouvrierung betritt der Besucher einen hortus conclusus. Es ist ein Ort stiller Anmut von der Art klösterlicher Friedgärten. Nach all den Informationen und geleiteten Rundgängen sollte der Besucher hier in der contemplatio naturae einen ihm freien, gar meditativen Raum erfahren dürfen. Leitbild ist der Paradiesgarten in den Darstellungen der Lutherzeit. Es geht eine Ahnung von Transzendenz, um Demut im Angesicht der Schöpfung und die Hoffnung auf das Wiedererblühen am nächsten Tag. Dazu wird der Vikariatsgarten mit gärtnerischen und künstlerischen Ausdruckmitteln als homogener und eigenständiger Entwurf gestaltet. Behutsam fügen sich Installationen ein, die weitere assoziative Bezüge eröffnen. Die baulichen Reste des Vikariats werden integriert. Thematische Motive könnten die Lutherschen Glaubensartikel (als quasi seine summa theologica), auch die barocke Naturmetaphorik des protestantischen Kirchenliedes abgeben.
Der Besucher verlässt den Sterbehauskomplex ausdrücklich nicht durch den Eingang im Vorderhaus, sondern nimmt durch den Garten erfrischt den Lutherweg wieder auf. Zugleich werden so Gegenstrom und Besucherstau im Eingangsbereich des Sterbehauses vermieden.
Dr. Christian Hirte